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Der letzte Tag des Salvador Allende

D 2004. R, B: Michael Trabitzsch. B: Sven-Erik Olsson. K: Bernd Meiners. S: Anja Neraal. M: Wolfgang Loos. P: Prounen Film. 80 Min. Piffl ab 25.11.04

Regisseur Michael Trabitzsch hat aus kaum bekanntem Archivmaterial und den Aussagen überlebender Weggefährten Allendes einen leidenschaftlichen und berührenden Film über Aufbruch und Verrat, Utopie und die brennende Geduld der chilenischen Unidad Popular gemacht.

Der Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda, ein enger Freund von Salvador Allende, schrieb vor 31 Jahren, kurz nach der Bombardierung des chilenischen Regierungsgebäudes, der "Moneda" im September 1973: "Ich schreibe diese raschen Zeilen für meine Memoiren drei Tage nach den empörenden Ereignissen, die zum Tod meines großen Gefährten, des Präsidenten Allende führten. Seine Ermordung wurde vertuscht; er wurde heimlich begraben, nur seine Witwe durfte den unsterblichen Leichnam begleiten. (...) Sie mußten eine so schöne Gelegenheit nutzen. Sie mußten ihn mit Maschinengewehrfeuer niedermähen, weil er nie seinen Posten aufgegeben hätte."

11.09.1973: Gegen fünf Uhr in der Frühe fahren die ersten Einheiten der Marine durch die Straßen Santiagos und eröffnen das Feuer. Um 7:20 Uhr verläßt Salvador Allende seine Residenz und fährt zur Moneda. Eigentlich wollte Allende an diesem Tag in einer öffentlichen Rede ein Plebiszit ankündigen und sich von seinem Volk im Amt bestätigen lassen. Um 8:20 Uhr hält Allende eine zweite Rede über den Sender seiner Sozialistischen Partei, Radio Corporación, in dem er zugibt, daß der Putschversuch der Pinochet-Junta massiver sei als vorerst angenommen. Ein telefonisches Angebot von Luftwaffengeneral Gabriel Van Schouwen, zusammen mit seiner Familie in einem Flugzeug das Land zu verlassen, das ihm kurz nach seiner zweiten Ansprache zugetragen wird, lehnt Allende ab.

Kurz darauf werden Maschinengewehre und Raketen auf die Moneda abgefeuert. Salvador Allende wendet sich ein letztes Mal über Radio Maggalanes, den Sender der Kommunistischen Partei, an sein Volk: "Es ist sicherlich das letzte Mal, daß ich mich an Euch wende. Die Luftstreitkräfte haben die Sendeanlagen von Radio Portales und Radio Corporacion bombardiert. (...) Ich werde nicht zurücktreten. In eine historische Situation gestellt, werde ich meine Loyalität gegenüber dem Volk mit meinem Leben bezahlen. (...) Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Werktätigen! Das sind meine letzten Worte, und ich habe die Gewißheit, daß mein Opfer nicht vergeblich sein wird. Ich habe die Gewißheit, daß es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat verurteilt."

Um 11:55h beginnen vier Hawker Hunter Bomben auf La Moneda zu werfen. Kurz darauf ist der Palast von Soldaten besetzt. Salvador Allende hat sich, laut offiziellem Bericht, "mit einem automatischen Gewehr, das er zwischen den Knien hielt und dessen Lauf er am Kinn ansetzte", das Leben genommen.

Michael Trabitzsch verwendet für seine Dokumentation "Allende - Der letzte Tag" (nicht zu verwechseln mit dem Dokumentarfilm "Salvador Allende" von Patricio Guzman, der dieses Jahr außer Konkurrenz in Cannes lief) bisher kaum bekanntes Archivmaterial, kontrastiert mit Interviews damaliger Mitstreiter und Gegner. Gleichberechtigt wechseln die Ebenen der oralen und der visuellen Erinnerung sich einander ab, laufen unmerklich ineinander über. Dieses Verschmelzen der zwei Ebenen, die sich unweigerlich ergänzen, läßt den Film in einem ruhigen, beinahe besinnlichen Fluß erscheinen. Trabitzsch will Erinnerungsarbeit leisten, ohne wertende Kommentare. Will dem Zuschauer nur die Ereignisse nahebringen.

Dennoch ist eine eindeutige Positionierung zu erkennen, nicht zuletzt durch Elemente wie die Kombination von dramatischer Musik und den Bildern des brennenden Regierungsgebäudes. Und doch (oder gerade deshalb) öffnet sich ein gedanklicher Raum, in dem sich die eigene Reflektion frei bewegen kann und die subversive Lenkung beinahe vergessen läßt. Es ist ein ruhiger Film, dem Sujet angebracht gewählt. Denn im Gegensatz zu Che, dessen Person mittlerweile zu einer Art lauten und schrillen Poster-Polit-Pop-Marke überstrapaziert wurde, und dem zwiespältige Gefühle hervorrufenden Fidel ist Allende immer noch ein Würdenträger, eine der tragischsten Figuren auf der Bühne des politischen Dramas.

Selbst heute geht von seiner letzten Rede, den Ultimas Palabras, eine unglaubliche, starke Wirkung aus. Die Emotionalität dieser Worte scheint die Grundlage des Films zu bilden, er soll diesen kraftvollen und, trotz aller Traurigkeit, hoffnungsspendenden Sätzen ein Forum geben, sich zu entfalten. Eine Rede als filigrane Basis, welcher der Film gerecht wird. Ausgehend von diesen Worten werden die Vergangenheit in Form von Archivmaterial und die Zukunft bzw. Gegenwart durch Interviewsequenzen erzählerisch verknüpft. Die starke Bewegung der Gefühle wird durch die homogene Montage des Materials zu einer Chronik Chiles, die das Wissen über die Ereignisse dieser Tage fast gänzlich voraussetzt (oder sie nur wie beiläufig erwähnt) und sich so nur auf eines konzentriert: die Erinnerung an den letzten Tag von Salvador Allende.

Cornelis Hähnel (in schnitt Nr. 39)
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