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Brother, Where Art Thou?

USA 2000. R,B: Joel Coen. B,P: Ethan Coen. K: Roger Deakins. S: Roderick Jaynes, Tricia Cooke. M: T Bone Burnett. D: George Clooney, John Turturro, Tim Blake Nelson, Holly Hunter u.a. 107 Min.

Kettensträflinge im schwarzweißen Streifen-Drillich tauchen aus dem Vorspann-Dunkel auf, in dem wir sie schon Steinekloppen hören konnten. Erst allmählich gewinnt der Film an Farbvarianz, bleibt aber doch immer ganz leicht sepiabraun und blaß wie alte Bilder aus den 30ern – eine staubige, manchmal fast goldene Tönung, in dem die letzte Einstellung wieder völlig versinken wird. Drei Köpfe stieben aus einem Maisfeld, einer davon gehört George Clooney alias Everett Ulysses McGill. Die Kombination aus Coen Bros. und Mr. Clooney hat O Brother, Where Art Thou? teilweise schon Kultfilmlorbeeren eingebracht, bevor ihn irgendjemand gesehen hatte, und sie wird nicht nur die Anhänger des Regie-Brüderpaares an die Kinokassen locken: Zumal diese das Schönlingsimage des eitlen Protagonisten, der selbst als entflohener Gefangener scheinbar von keinem wichtigeren Gedanken als der richtigen Haarpomade besessen ist, reichlich ausschlachten.

O Brother, Where Art Thou?, das ist zum einen der biblisch tönende Titel eines möchtegern-sozialkritischen Werks, das ein beflissener Regisseur 1941 in Preston Sturges Hollywood-Satire Sullivan's Travels drehen will, während der »Recherchen« aber versehentlich im Gefängnis landet und reuig zu Komödien zurückkehrt. Zum anderen, so wird promotet, ist es eine in die amerikanische Depressionszeit verlegte (Coen-)Adaption von Homers »Odyssee«.

Die große Geste, eine Zitatenreise durch amerikanische Filmhistorie mit dem zweitältesten Epos der abendländischen Kulturgeschichte zu vermählen, sollte nun nicht allzu ernstgenommen werden: Freilich werden in die Flucht der »drei Daltons« entsprechende Stationen eingebaut, ein blinder »Seher« sagt ihnen zu Beginn kryptisch ihre Abenteuer voraus, sie begegnen einäugigen »Zyklopen« und – natürlich – auch verführerischen Sirenen. Nur ist letztlich im Grunde jedes Road-Movie und jeder Ausbruchsfilm ein später Nachfahre der »Odyssee« – die Coens spielen damit nur ein klein wenig direkter. Darüber hinaus hat die Bezugnahme ungefähr den Status der Vorspanneinblendung von Fargo, die augenzwinkernd das Beruhen auf »einer wahren Geschichte« verspricht.

Diesmal kein scharfer »rot wie Blut, weiß wie Schnee«-Kontrast: Das eher zum Verwaschenen tendierende Farbkonzept, aus dem unter anderem jedes Grün verbannt ist, wurde von Roger Deakins, Coen-Kameramann seit Barton Fink, nicht nur durch Filter und chemische Methoden umgesetzt, sondern durch die akribische Bearbeitung des komplett in ein digitales Masterband umgewandelten Filmmaterials. Die unglaubliche visuelle Penibilität der Coens hat sie dankbar zu den neuen Möglichkeiten greifen lassen. Wie so oft formen sie mit starken geographischen Bezügen, detailverliebter Ausstattung und genüßlichen Zeichnungen einheimischer Hinterwäldler einen (dennoch) höchst künstlichen Schauplatz; nach Texas, Arizona und Minnesota tauchen sie diesmal tief in die Südstaaten, was uns auf dem Höhepunkt eine bizarr-komische KuKluxKlan-Tanzperformance beschert.

O Brother, Where Art Thou? hat nicht die atmosphärische Dichte und nachhaltige Intensität von Fargo oder Barton Fink, und viele seiner Bilder möchten vielleicht zu bemüht das sein, was man landläufig als »schräg« bezeichnet, statt diesen Effekt von alleine eintreten zu lassen.

Ein Toleranzplädoyer, aber in reichlich Komödie verpackt – das haben die Coens von Joel McCrea aus Sullivan's Travels gelernt. Daß sie über den Big Lebowski hinweg scheinbar an Ernsthaftigkeit verloren haben, und ihr neuer Film von einigen Längen abgesehen unterhaltsam, aber nicht übermäßig tiefgängig ist, wird ihnen vermutlich vorgehalten werden. Die Aneinanderreihung burlesker Episoden, die zudem über den großen Teich hinweg sicher einiges an Verständlichkeit einbüßt, mag viele nur zum Kopfschütteln veranlassen.

Aber selbst ein mittelmäßiger Coen zeigt noch, wieviele Ozeane an handwerklicher Perfektion, an Komplexität und originellem Einfallsreichtum leider zwischen deutschem und amerikanischem Autorenkino liegen können.

Von Natalie Lettenewitsch in schnitt.de 

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