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Tsatsiki - Tintenfisch und erste Küsse

Schweden 1999. Regie: Ella Lemhagen. Länge: 91 Min.

Stolz wie ein Hahn 

von Sabine Elias (2001)
Tsatsiki kennen wir eigentlich als griechischen Joghurt mit Gurken und Knoblauch. Dass auch ein kleiner schwedischer Junge so heißen kann, wusste vor Moni Brännströms gleichnamiger Kinderbuchserie wohl niemand. Der Stoff der ersten beiden Bände ist 1999 als „Tsatsiki – Tintenfische und erste Küsse“ unter der Regie von Ella Lemhagen verfilmt worden.

Der Film erzählt die Geschichte des achtjährigen Tobias – so Tsatsikis richtiger Name –, der mit seiner Mama in Stockholm lebt. Tina verdient den Lebensunterhalt als Sängerin und Gitarristin, ist ab und zu liiert mit dem Bassisten der Band, trägt ausgeflippte Klamotten und Frisuren und lässt sich noch nicht einmal vom Direktor der Schule den Mund verbieten. Sie ist so, wie sich vielleicht manches Kind seine Mutter wünscht: frech, witzig und so unkonventionell, dass ihr Sprössling schon spießig wirkt, wenn er seine kleine Freundin Maria mit einem richtigen Anzug beeindrucken will.

Tsatsikis Vater wohnt in Griechenland – ein Tintenfischjäger, den der Sohn nur vom Foto kennt. Schwarze Haare, braune Augen, die markante Nase – Vater und Sohn ähneln sich verblüffend und manchmal fehlt Papa in Tsatsikis Alltag: „Schade, dass du nicht hier bist, dann hätten wir über die Liebe sprechen können.“ Der Junge setzt alles daran, ihn einmal zu treffen. Minutiös bereitet er sich auf die Reise vor: Im Hallenbad übt er, so lange wie möglich unter Wasser zu bleiben, sein Taschengeld spart er für Taucherflossen – und irgendwann machen sich Mutter und Sohn tatsächlich auf den Weg in den Süden.

Das väterliche Ideal wird bei der Begegnung in Griechenland zunächst demontiert: Der Apoll vom Foto mit der Harpune und der Tintenfischtrophäe in der Hand entpuppt sich als ein etwas aus der Form geratener Fischer. Die beiden freunden sich an und Tsatsiki bewährt sich als kleiner Taucher und Tintenfischjäger, auf den der Vater schließlich „stolz wie ein Hahn“ ist. Beide erkennen jedoch schnell, dass sie auch in Zukunft ihren Alltag nicht teilen können: Der langhaarige, barfüßige Vater gehört in den kleinen Fischerort, zu seinem Boot und den Tintenfischen. Und Tsatsiki und seine Mutter haben Heimweh nach Stockholm ...

Ulf Stark hat das Drehbuch für die Verfilmung geliefert. Der schwedische Autor schreibt seit 1975 für Kinder und Jugendliche und hat auch schon etliche seiner eigenen Titel zu Drehbüchern verarbeitet, etwa „Percys Turnschuhe“ oder „Kannst du pfeifen, Johanna?“. Mit „Tsatsiki – Tintenfische und erste Küsse“ hat sich Stark erstmalig der Bücher einer anderen Autorin angenommen. Intelligent transponiert er die literarische Vorlage in das Filmgenre mit Fokus auf die Vater-Sohn-Beziehung.

Auf der einen Seite setzt sich der kindliche Protagonist mit dem Bild des leiblichen Vaters auseinander, imaginiert dessen Eigenschaften und Verhaltensweisen und will diese in der Realität überprüfen. Dieses Ideal kontrastiert der Film mit einem echten ,Ersatz’-Vater. Göran ist Polizist und wohnt als Untermieter eine Zeitlang mit Mutter und Sohn unter einem Dach. Er ist immer da, wenn Tsatsiki ihn braucht. Als ,Freund und Helfer’ lotet er sensibel die kindlichen Bedürfnisse aus, zeigt sich fürsorglich und verantwortungsbewusst und bringt seinem kleinen Kumpel bei, wie man sich mit ein paar Polizeitricks auf dem Schulhof zur Wehr setzen kann. Mit Göran kann Tsatsiki Gefühle der Freiheit und Unabhängigkeit erleben, etwa bei den gemeinsamen Motorradausflügen, filmisch inszeniert mithilfe von Kamerafahrten und Musik. Auf der anderen Seite unterstützt der Kleine den Großen engagiert in dessen beharrlichen, aber zunächst vergeblichen Balzversuchen bei Tina – Göran ist nämlich zum Nebenbuhler des Bassisten geworden.

Tsatsikis kreative Ideen geben auch Erwachsenen Anlass zum Schmunzeln. Die kindlichen Figuren sind stimmiger und vielschichtiger als in der Buchvorlage gestaltet. Sie agieren selbstbewusst und mutig, zum Teil auch gegen die Erwachsenen, ohne dabei altklug oder distanziert zu wirken.

Der Film besticht durch seine hervorragende Besetzung: Samuel Haus alias Tsatsiki fiel der Regisseurin zu Recht in einem Casting unter 2500 Kindern auf, der bezaubernden Isa Engström (Maria) merkt man ihre Filmerfahrungen an und Jacob Ericksson stellt als Göran seine solide Theaterschauspielausbildung unter Beweis. Alexandra Rapaport schaffte mit der Rolle als Tsatsikis Mutter den Sprung von den Daily Soaps des schwedischen Fernsehens zum Kinofilm.

Ella Lemhagen erhielt für „Tsatsiki – Tintenfische und erste Küsse“ 1999 den schwedischen Filmpreis für die beste Regie und im letzten Jahr den Gläsernen Bären bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin sowie den Preis des Kinderhilfswerks. Die Regisseurin bedient sich zahlreicher Konventionen des Kinderfilms. Tsatsiki führt als Sprecher in die Geschichte ein, zuweilen wird die lineare, dialogreiche Handlungsführung unterbrochen durch seine Reflexionen. Zeitlupen und musikalische Gestaltung qualifizieren die Beziehungen zwischen den Figuren und tragen zur Emotionalisierung des kindlichen und erwachsenen Zuschauers bei. Die Kameraperspektive berücksichtigt den Blick der Kinder. Entwicklungsthemen wie die Vater-Sohn-Beziehung und erste Liebe und das hoffnungsvolle, mit einem Sonnenaufgang filmisch allerdings eher kitschig realisierte Ende weisen den Film darüber hinaus als Kinderfilm aus, den aber auch Erwachsene – zumindest die mit einem kleinen Hang zur Romantik – genießen können.
 
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