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Blue Velvet
kyle mclachlan, isabella rosselini, dennis hopper, laura dern, dean stockwell, u.a.
Will man das Geniale, das Visionäre von Lynch umschreiben, wie fängt man da an? Erster Versuch: Über den Stil. Nur wenige Regisseure - zumeist nur die Großen wie ein Hitchcock - prägten einen eigenen Stil, und noch weniger eine eigene Bildsprache. Lynch tat beides. Seine Filme sind von der ersten Sekunde an unverkennbar, sie bedienen sich eines visuellen Vokabulars, das ganz Lynchs eigenes ist. Niemand schafft Kompositionen wie er. Dies hat freilich Gründe. David Lynch ist gelernter und studierter Maler und gestaltet seine Filme wie Gemälde. Daher auch die reiche, meist das komplette Farbspektrum ausnutzende Bildsprache. Diese ist zudem durch das, was Lynch liebt, geprägt, allen voran der Einfluss von Film und Musik der späten 50er / frühen 60er Jahre (auf die er auch besonders gern in Zitaten und Referenzen verweist). Welch Ironie, dass einer der (post-)modernsten und innovativsten Regisseure, die Hollywood je hervorbrachte, seine Inspiration aus solch grauer Vorzeit ziehen sollte. Aber es ist das altmodische Fifties-Styling, das seine Werke so unwirklich scheinen lässt. Sie wirken nicht nur wie Filme aus einer anderen Zeit, sondern einer anderen Welt. Einer Welt, die es vielleicht nie gab, außer in Lynchs Fantasie. In Lynch fällt alle vergangene Kunst - auch und vor allem die Triviale - zusammen und erschafft Kunst für die Zukunft.
Zweiter Versuch: Die Inhalte. Das Hässliche im Schönen suchen und auch das Schöne im Hässlichen: Die äußerliche Hässlichkeit des "Elefantenmenschen" konterkariert durch sein sanftes, mitfühlendes Inneres und im Gegensatz dazu die freundlichen heilen Kleinstadtwelten von Lumberton und "Twin Peaks", unter denen das Abgründige und Böse lauert - diese Motive ziehen sich durch Lynchs Werk wie ein roter Faden. In der zweiten und wichtigsten Phase seiner Karriere - welche mit "Blue Velvet" begann und immer noch andauert - verfolgt er letzteres Motiv, selbst in einem offensichtlich harmlosen Film wie "The Straight Story". Er untersucht die Brüche in heilen Oberflächen und ist dabei so gnadenlos, dass er bisweilen wie ein Sadist wirkt. Dies hat man seinen Filmen vorgeworfen. Ihre Gewalttätigkeit, ihre Lust an der Perversion, kurzum: ihre Subversivität. Dritter Versuch: Ideen und Intuition, vielleicht der Schlüssel. Denn zu einem wahren Genie gehören sie, die Geistesblitze. Lynch nutzte Dutzende davon. Daher wird man seine Filme nie ganz analytisch zerlegen können, wird ihrer nur durch Intellekt niemals habhaft werden. "Filmemachen ist eine Sache des Unterbewusstseins" sagt Lynch, und handelt konsequenter als jeder andere nach dieser Maxime. Daher gibt es in nahezu jedem Werk dieser zweiten Phase undekodierbare Stellen. "Twin Peaks"-Fans zum Beispiel versuchen seit über einem Jahrzehnt zu ergründen, was es mit dem "Red Room" auf sich hat. Lynch selbst weiß es nicht. Die bizarre Szene, die er auf Zelluloid bannte, erschien ihm im Traum. Lynch ist ein Traumfänger. Dies macht seine Filme zu so unheimlichen Erlebnissen, denn nur wer seinem Unterbewusstsein freien Lauf lässt, kann ernsthaft versuchen, es im Film einzufangen und zu beleuchten. Aber brechen wir diese Überlegungen ab und wenden uns "Blue Velvet" zu. "Blue Velvet" ist nicht nur Höhepunkt seines Schaffens, sondern auch Anfangs- und Endpunkt. Sein Alpha und Omega. Mit diesem Film begann er die zweite Phase seiner Karriere - nach dem Untergrunddebüt mit "Eraserhead", dem Achtungserfolg "Der Elefantenmensch" und dem gescheiterten Experiment im Mainstream mit "Dune" - und dies ist der Film, in dem Lynch zum ersten Mal komplett seine eigene Stimme und Vision findet. Konsequenter und besser wurde es danach nicht mehr, auch wenn er dieselben Themen umkreiste. Seine legendäre TV-Serie "Twin Peaks" und das Husarenstück "Mulholland Drive" waren ähnlich grandios, mäanderten aber aufgrund ihrer Struktur und konnten ihrem Vorgänger letztlich nicht das Wasser reichen, denn in "Blue Velvet" hat Lynch bereits alles gesagt. Der Rest sind Variationen auf höchstem (die beiden ebengenannten Werke), hohem ("The Straight Story") und abfallendem ("Wild at Heart", "Lost Highway") Niveau. All diese nachfolgenden Filme flossen letztendlich immer wieder zum Ursprung zurück. Die oben besprochene Bildersprache, sie fand Ursprung und Höhepunkt hier, der Rest war Referenz. Das Motiv der Kerze bzw. der Flamme, das der dunklen Straße, das der Doppelgänger/gespaltenen Persönlichkeit, das der Maskierung - alles hier vorhanden. Sie bilden den Nukleus von Lynchs Schaffen und sind integraler Teil von "Blue Velvet": "Das erste, woran ich dachte, waren Wiesen. Wiesen und Wohngebiete ... Im Auto sitzt ein Mädchen mit roten Lippen. Mir ging es um diese roten Lippen, um den blauen Samt und um die schwarzgrünen Wiesen." Man achte hier einmal auf die farblichen Zuschreibungen, das ‚in Farben denken' Lynchs, das Anordnen von Bildern. Was folgt ist ein Bilderrausch. Lynch verstehen, Lynch genießen ist nur möglich durch Gefühlsrezeption, durch Fallenlassen in den Rausch, das völlige Eintauchen in die fremde Welt. Und was für eine Welt dies ist. Über Storydetails wollten wir nicht sprechen, über das Zentrum des Films - die 15-minütige, in Realzeit ablaufende Sequenz in Dorothys Appartement - müssen wir es. Sie trifft den Zuschauer mit der Wucht eines Vorschlaghammers, sie ist der Grund für die vehemente Kritik an diesem - sagen wir mal euphemistisch - nicht unumstrittenen Film. Die unangenehme Verquickung von Voyeurismus und erotischer Spannung, Sex und Gewalt, Sadomaso-Atmosphäre und Unschuld findet ihren unschönen Höhepunkt in der von Jeffrey beobachteten rituellen Vergewaltigung Dorothys durch Frank. Eine merkwürdige, abstoßende, faszinierende, nervös machende, großartige" Szene. Davis Lynch bekam dabei einen Lachanfall. Niemand hat je behauptet, er wäre nicht seltsam. Apropos Roy Orbison. Lynchs Obsession mit dem Mann der vielen Oktaven zieht sich ebenfalls durch seine Filme - vom Epigonen Chris Isaak, dessen "Wicked Game" dank "Wild at Heart" zum Hit wurde, bis hin zu einer großartigen spanischen Version von Orbisons Schnulze "Crying" in "Mulholland Drive" - und was er hier mit Orbisons "In Dreams" anstellt, in der vielleicht schönsten Szene des Films, ist reine Kinomagie. Dean Stockwell hat als schwuler Bordellbesitzer Ben seinen letzten großen Auftritt als Filmstar (und reiste fortan hauptsächlich als plapperndes Hologramm Al "Zurück in die Vergangenheit") und imitiert Presley zum Synchrongesang von "In Dreams", bizarr ausgeleuchtet von einer Lampe, die er als Mikrofon benutzt. Wie hier aus einer unschuldigen Sehnsuchtsschnulze ein Stück schwarze Musik gemacht wird, nur durch Assoziieren, das ist schlichtweg grandios. Dieses Lied (wie auch "Blue Velvet" selbst) wird man danach nie wieder so anhören wie früher. |
Bilder: Courtesy of Metro-Goldwyn-Mayer, Copyright 1986 |
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