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Bal - Kritiken, Besprechung

Was der Zuschauer vor dem Film an Informationen haben sollte:

Wichtig sind Informationen vor dem Film, um ihm mehr abzugewinnen. Vor dem Film sollten die Zuschauer wissen, dass der Film nur mit natürlichem Licht gedreht wurde, was sehr sehr schwer und ungewöhnlich ist. Eine Herausforderung an jeden Kamermann. Das Ergebnis ist bewundernswert. Ein Beispiel. dafür: Wenn eine Szene morgens bei beginnender Dämmerung anfängt, sieht man wie es  (natürlich - nicht künstlich) heller wird.
Inhaltlich wichtig ist die Information, dass es sich bei der Geschichte von Yussuf, um die Kindheitsgeschichte eines späteren Schriftstellers (Lyrikers) handelt. Rückwärts gehend und der Zukunft dabei in Erinnerung zugewandt erzählt Semih Kaplanoglu in drei Filmen von einem Mann namens Yusuf. Wir lernen ihn kennen (“Yumurta”, 2006) als unglücklichen Mann um die vierzig. Er ist Lyriker, hat einen Band mit dem Titel “Bal” veröffentlicht, scheint eher erfolglos und betreibt einen Buchladen in Istanbul. Dann stirbt seine Mutter und er kehrt zurück in das Dorf seiner Kindheit. In “Süt" (2008) ist er zwanzig und schreibt Gedichte und wir sehen, wie eine Frau kopfüber am Baum hängend eine Schlange ausspuckt und erfahren, warum Yusuf die Milch, die dem Film seinen Titel gibt, hasst. “Bal”, der Film, der nun anläuft, der Film, der in diesem Jahr nicht völlig zu unrecht den Goldenen Bären gewann, ist das Porträt des späteren Dichters als Kind.

Was bemerkt werden soll, dass  Yusuf ein Sprechproblem hat. In der Schule, wo er vorlesen soll, beginnt er jedes Mal zu stottern, mit seinem Vater spricht er fließend im Flüsterton. Der Zuschauer weiss, dass der Junge bald ohne Vater sein wird.

Die Konstruktion ist interessant: Die einzige "Spannung"- Action-Szene ist ganz am Anfang - wenn der Vater zwischen Himmel und Erde sich befindet und man (und er) weiss, dass er sterben wird. Er jetzt, wir alle irgendwann später.

Es gibt in Werner Herzogs  "Kaspar  Hauser" eine Szene, die mir einfällt:  Kaspar Hauser  erzählt einen Traum: Er sieht einen Berg, er sieht Menschen, die den Berg hinauflaufen (die Szene ist dann in Bildern zu sehen) Einige laufen Hand in Hand hoch, andere allein, andere kehren wieder um, laufen zurück. Und oben auf dem Berg, erzählt Kaspar Hauser weiter von seinem Traum, wartet - der  Tod. Werner Herzog war Juyvorsitzender bei der  Berlinale 2010. Für ihn war klar, dass "Bal" der beste Film des Festivals war!

Noch eine phantastische Szene: Als er den Mond trinken will um die verrinnende Zeit aufzuhalten.

Sehr gut hat dies ein Kritiker beschrieben: ..."Es geht um die Einsamkeit des Jungen in der Welt. „Bal“ ist der Abschluss einer Trilogie, deren frühere Teile „Yumurta“ („Ei“, 2007) und „Süt“ („Milch“, 2008) vom Ringen des erwachsenen und des halbwüchsigen Yusuf um eine Existenz als Lyriker und einen eigenständigen Ausdruck handeln. Man muss diese Filme nicht kennen, um das Geschehen in „Bal“ zu begreifen, aber sie spiegeln sich darin wie der Mond im Wassereimer. Indem er Yusufs Leben im Krebsgang erzählt, blickt er zugleich an den Anfang der Sehnsüchte, die den Erwachsenen umtreiben. An ihrem Ursprung liegt, wie man in „Bal“ sieht, die Trauer des Jungen um seinen Vater, ein Schmerz, den keine Poesie stillen kann. Und ringsum der Wald. Wie ein zweiter Himmel wölbt er sich über der Geschichte, und selbst der Todessturz des Imkers hebt seinen Zauber nicht auf. Als Yusuf erfährt, was mit seinem Vater geschehen ist, flüchtet er in den Schutz der Bäume. Dann schläft er ein. Als er erwacht, ist die Kindheit vorbei." Am Ende des Films schläft der Junge tief und fest.

Und noch ein  Kritiker, der deutliche Worte für das Festival (und für "Bal") findet: "Bal" wurde am Samstag abend mit dem Goldenen Bären, dem Hauptpreis der Berlinale, ausgezeichnet. Die Jury unter Vorsitz des Regisseurs Werner Herzog traf damit eine nachvollziehbare Entscheidung. Denn "Bal" mag zwar ein wenig altmodisch wirken, ist aber vor allem ein dichter, in sich stimmiger Film, der die Nöte und Freuden des sechs Jahre alten Protagonisten greifbar macht, ohne sie auszubuchstabieren.

Der Vater des Jungen ist Imker, die Landschaft bergig und waldreich, die Familie wohnt auf einem kleinen Gehöft abseits vom Dorf. Der Junge stottert, wenn er in der Schule ein Märchen vorlesen soll. Einmal flüstert er seinem Vater einen Traum ins Ohr, später hilft er ihm beim Anbringen eines Bienenkorbs. Kaplanoglu schafft es, das Zusammenspiel von Landschaft, Tieren, Objekten und Menschen in atmosphärischen Bildern einzufangen, und er schafft es auch, sich auf die Kinderperspektive einzulassen. "Bal" blickt auf die Welt wie jemand, dem sie voller Rätsel ist.

Mit diesen Qualitäten stach Kaplanoglus Film aus einem Wettbewerbsprogramm heraus, in dem das Belanglose das Anregende bei weitem überwog. Das Traurige daran ist, dass dies seit Jahren so geht. Dieter Kosslick und sein Auswahlteam setzen zu oft auf den Thesenfilm statt auf den in Bildern denkenden Film, zu oft auf das Offenkundige statt auf das Subtile, zu oft auf gemütliches Arthouse, statt auf herausforderndes Autorenkino." und weiter..."Seltsam ist, wie gut das nach wie vor ankommt: Ein paar rote Teppiche in den Kiezen, mehr als 300.000 verkaufte Eintrittskarten, eine Open-Air-Vorführung von "Metropolis" bei minus zehn Grad am Brandenburger Tor, dazu Kosslicks Kalauer - und schon scheinen die Stadt, der Bund und die Sponsoren zufrieden."

Zurück zum Film:
Interview mit dem Regisseur: "Schließlich lassen wir das, was uns geschehen ist, nicht einfach in der Vergangenheit zurück. Das sind ja die Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, der ich bin - und deshalb sind und bleiben sie immer anwesend. Das zu evozieren, darum geht es mir in meinen Filmen. Wenn man die Filme in der Entstehungsreihenfolge ansieht, dann kann man bei "Bal", dem zuletzt entstandenen, aber am weitesten in die Biografie des Protagonisten zurückgehenden Film eine sehr ungewöhnliche Erfahrung machen, die mir wichtig ist. Man sieht den Jungen und denkt sich: Ich weiß, was aus ihm geworden, was ihm später widerfahren ist. Man kann dann diesen doppelten Blick haben. Das, was ihm geschieht, wird ihn zu dem machen, den man in den vorherigen Filmen kennengelernt hat.
Kaplanoglu:"Mich interessiert eher, was die Menschen im Zuge des Fortschritts, im Zuge von zu schnellen Veränderungen verlieren. Meine Fragen gelten den Wurzeln des Menschen, und ich glaube nicht, dass man die einfach abschneiden kann. Zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart gehört für mich das Aufbewahren dessen, was man hinter sich gelassen hat. Veränderungen können für meine Begriffe nur aus der Rückkehr entstehen. Für Yusuf in "Yumurta", dem ersten Film, ist die Rückkehr in die Kleinstadt nach dem Tod seiner Mutter deshalb auch eine Gelegenheit, sich neu zu entdecken.

Würden Sie mir zustimmen, dass es in "Bal" in erster Linie um ein "Zur-Sprache-Kommen", ein "Zur-Sprache-Finden" des kleinen Jungen Yusuf geht, der später zum Dichter wird? Am deutlichsten in den Szenen im Unterricht, in denen er vorlesen soll und muss, aber lange nicht kann. Das steht in einem spürbaren Spannungsverhältnis zum Aufgehobensein in der Natur und zum flüsternden Austausch mit dem Vater.

Kaplanoglu: "Ich sehe das im Bezug zu einer Grundfrage, die die türkische Kultur seit zweihundert Jahren prägt. Uns - und das betrifft mich ebenso wie zum Beispiel einen Schriftsteller wie Orhan Pamuk - ist das Verhältnis von Tradition und Modernität, Osten und Westen fundamental problematisch: ein ständiger Zwiespalt, ein ständiges Hinterfragen der eigenen Position. In "Bal" etwa gibt es die Schule als formales Bildungssystem auf der einen Seite. Die Vermittlung eines anderen Wissens, eines mit der Natur verbundenen Wissens geschieht in den Szenen, in denen der Vater mit dem Sohn etwa über die verschiedenen Honigsorten spricht. Yusuf als Kind lebt zwischen diesen beiden Wissensformen. Natürlich findet er dann zur Sprache und trägt diese Sprache in einen Bereich jenseits des Alltags. Die Grundfragen, die ihn bewegen, liegen aber auf der Achse dieser Grundspannung: ein andauerndes Selbsthinterfragen und Neudefinieren. Diese Tendenz zur Rückkehr zur eigenen Sprache, zur eigenen Kultur macht den Einzelfall meines Individuums Yusuf immer auch exemplarisch. INTERVIEW: EKKEHARD KNÖRER

und weiter als Information, die wichtig ist:

Nicht weniger als ein beinahe vorsprachliches Weltverhältnis stellt der Film dar, und zeigt dann, wie das Kind fast gegen seinen Willen zur Sprache kommt als symbolischer Ordnung. Er zeigt aber auch, und darin, wie er es zeigt, liegt seine Größe, wie ein sinnlicher Weltbezug aussieht und darstellbar sein kann und wie man um seine (notwendige) Verlierbarkeit und seinen Verlust trauern kann, ohne sich dabei auf eine regressives Verhältnis zum Verlorenen und zur nur in der Erinnerung (die “Bal” ist) wiederzugewinnenden Zeit einzulassen. So also staunt man darüber, wie der Film Yusuf in ein flüsternd symbiotisches Verhältnis zum Vater und zur Natur setzt; dem Vater, der in den Wipfeln der Bäume in der nordöstlichen Türkei Honig gewinnt; der Natur, die waldreich ein Leben voller Entbehrungen umfängt. Nun aber sterben die Bienen und es gerät, gleich zu Beginn schon, der Vater in mehr als prekäre Lage hoch im Baum.

Der Sohn träumt von der Natur und sitzt in der Schule und kann lange nur stottern, wenn er vorlesen soll. Der Sohn fängt in der schönsten Szene des Films den Mond, oder versucht es, der auf der Wasseroberfläche in einem Eimer als Spiegelung schimmert. Viel Zeit nimmt sich, viel Zeit schenkt uns und seinem Helden der Film für Momente wie diese. Man kann die einzelnen, oft dunklen, oft lang dauernden Einstellungen ohne jede Musik (die nur ganz falsch in diesen Kosmos eindringen könnte) eigentlich nur als Kompositionen bezeichnen: Zeitbilder, die sich entfalten, ohne dass viel geschieht. Im Interview erklärt der Regisseur Semih Kaplanoglu seine Arbeitsweise, die viel mit Geduld, Sorgfalt und Genauigkeit zu tun hat, eine Arbeitsweise, die dazu führt, dass die Dreharbeiten seiner Filme in der Regel gut doppelt so lang dauern, wie es heute nicht nur in der Türkei üblich ist:

“Wenn ich einen Drehbuchentwurf fertig habe, wähle ich Location und Cast. Dann aber überarbeite ich das Drehbuch noch einmal gründlich. Darauf zeichne ich ein Storyboard, wo ich für jede einzelne Szene die Bilder im Detail zeichne. Vor Ort spreche ich mit dem Kameramann über die Auflösung. Ich glaube, es kommt letztlich darauf an, mein Zeitempfinden mit dem Rhythmus der Schauspieler und dem Tempo der Natur zu verbinden. Wenn das gelingt, gibt es eigentlich keinen großen Unterschied mehr zwischen dem Aussagewert eines Astes und einer Schauspielerin. Es geht mir nicht um einen Bildvordergrund oder einen Bildhintergrund, sondern um ein komplexes kompositorisches Ganzes, eine Harmonie der einzelnen Elemente.“ (Aus einem Interview, das ich im Juni in Berlin mit dem Regisseur geführt habe.)

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Diese Trilogie handelt in umgekehrter Chronologie von der künstlerischen Reifung eines Dichters in der ländlichen, traditionellen Umgebung Anatoliens. Wurde in Teil eins zunächst das Erwachsenenleben Yusufs behandelt und dann in Teil zwei seine Jugend, so geht es in Bal - Honig nun um das etwa sechsjährige Kind. Von einer Berufung zum Dichter ist in diesem Film noch nicht viel zu merken: In der Schule macht das Lesen dem Jungen (Bora Altas) gehörige Schwierigkeiten. Seine poetische Ader drückt sich eher in einem innigen Verhältnis zur Natur aus und in seiner Verschlossenheit, die die Mutter zuweilen ratlos werden lässt. Yusuf ist seinem Vater sehr stark verbunden und begleitet ihn bei der Arbeit in den Wald, den Kaplanoglu mit der Kamera in wunderschönen Bildern einfängt wie eine Märchenlandschaft. Eine kleine Kamerafahrt entlang wilder Blumen. Ein Reh, das plötzlich, über Yusufs Schulter gefilmt, auf einer Lichtung steht – und darüber freut man sich wirklich. Der Mond, der sich in einem Wassereimer spiegelt, verschwindet, als Hände in das Wasser tauchen, und dann wieder erscheint. Wie ein wiederkehrender Traum.

Zugleich findet all das aber auch an einem sehr realen Ort statt. An dem Ort nämlich, an dem der Vater das Geld verdient. Er hängt Bienenstöcke an besonders hohe Bäume. Diese Sequenzen sind mehr ethnografisch als poetisch. Die Arbeitsschritte der Honiggewinnung werden gezeigt, verschiedene sehr unbekannt anmutende Gerätschaften, später auch mit einiger Ausführlichkeit ein traditioneller Tanz. Kaplanoglu, dessen eigener Vater aus dieser Region Anatoliens stammt, hält all das mit fast schon konservatorischem Interesse fest, denn natürlich ist diese Welt in der modernen Türkei dem Untergang geweiht. Im weiteren Leben Yusufs, das wir schon kennen, er aber nicht, erhält die Moderne dort Einzug, mit Hochhäusern und Veränderungen der sozialen Strukturen. (Filmkritik von Thorsten Funke)

Als die Berlinale Jury unter dem Vorsitz von Werner Herzog den türkischen Film Bal von Semih Kaplanoglu zum Gewinner der Berlinale kürte und ihm den Goldenen Bären verlieh, war das für viele keine Überraschung: Ohne Zweifel ist Bal einer der am schönsten fotografierten Filme des Jahres, der mit seinen durchkomponierten und poetischen Bildern, viel Ruhe und Kraft ausstrahlt.

Ohne dabei zu verklären, trägt er einen in die allgegenwärtige Natur und in das bäuerliche Landleben. Und so ist man irgendwann nicht mehr in einem Film, sondern man IST an diesem Ort, in diesem Augenblick.

Das zentrale Mittel, um in diesen filmischen "Seinszustand" hinein zu gelangen, ist - neben einer übergenauen Tonspur und den großartigen Bildern - der Umgang mit der Zeit.

So erzählt Filmemacher Semih Kaplanoglu im Interview: "Ich habe mir vorgenommen, die Zeit nicht zu zerstückeln und Vorgänge nicht zu kürzen, Handlung nicht in Teile zu zerlegen, sondern einen Augenblick in der Länge zu zeigen, in der er sich ereignet. Und diese Vorliebe Zeit wahrzunehmen und darzustellen, hat sicher auch mit unserer Kultur zu tun. Insbesondere mit den traditionellen Künsten, in denen schon eher ein abstrakter und extensiver Zeitbegriff vorherrscht. Und anderseits, ist es eine künstlerische Stellungnahme gegenüber der irrwitzigen Beschleunigung und Zerstückelung der Zeit in der Moderne, wo ich versuche eine etwas menschgemäßere Wahrnehmung von Zeit zu etablieren."


Bal mahnt zu viel Geduld

Völlige Abwesenheit von Spannung. Das Ergebnis ist ein "spiritueller Realismus" wie ihn Kaplanoglu nennt, der den Zuschauer geradezu kontemplativ in eine genauere, andere Art des Wahrnehmens hereinzwingt.

Die Kehrseite und der Preis, den der Film dafür zahlt, ist fast die völlige Abwesenheit von Spannung, denn die wird durch das extrem langsame Erzähltempo unterlaufen. Bal mahnt also zu viel Geduld. Wer die hat, wird durch die Schönheit und Poesie des Films belohnt, wem sie fehlt, dem stehen qualvoll langweilige 103 Minuten bevor, und wird in Zukunft die Finger von solchem "Kunstkino" lassen.

FILMKRITIK:

Die Menschen leben im Einklang mit der Natur in Kaplanoðlus Film. Es ist nicht die anatolische Steppe, sondern die wenig bekannte Bergregion in der Nähe des Schwarzen Meeres, in der er seine Geschichte ansiedelt. Alles, was die Menschen brauchen, bekommen sie von der Natur. Der Honig ist deren süßestes Erzeugnis. Schnell wird ein Film, der mit solchen Metaphern arbeitet, selbst allzu süßlich. Dem türkischen Regisseur und seinem ausgezeichneten Kameramann gelingt jedoch eine Bildsprache jenseits von Öko-Romantik und abgegriffener Allegorien. Man sieht natürlich auch die Zerbrechlichkeit dieses entlegenen Biotops und der Lebensweise derer, die dort ihr Auskommen finden. Doch in erster Linie findet man hier einen unverstellten Blick auf alles Kreatürliche: das Majestätische der Bäume, die Farben der Pflanzen, das wechselnde Licht, das Atmen des Waldes. Und die allgegenwärtigen Geräusche, die anstelle einer Filmmusik ein Naturkonzert liefern.

Man kann angesichts dieser Bilder wieder staunen lernen, so wie es der kleine Yusuf (Boras Altas) tut, für den der Wald wie das Leben noch viele Geheimnisse birgt.
Es sind nicht nur schöne Geheimnisse. Yusufs Vater Yakub (Erdal Besikcioglu), ein Imker, dringt immer tiefer in den Wald ein, um seine Bienen zu schützen, da sich eine rätselhafte Krankheit in der Gegend ausbreitet – auch das ist Natur. Er hängt die Körbe in den Baumwipfeln auf, eine gefährliche Arbeit und ein ständiger Grund zur Sorge für seine Frau Zehra (Tülin Özen). Als ihr Mann einmal nicht zur vereinbarten Zeit aus dem Wald zurückkehrt, kommen Befürchtungen bei ihr auf. Sie beruhigt ihren sechsjährigen Sohn, der aber spürt, dass seinem Vater, dem er in tiefer Bewunderung zugetan ist, etwas passiert sein könnte. Er hört auf, mit seiner Mutter zu sprechen. Ein Verstummen, das mit seiner Angst zu tun hat, aber auch mit den Anforderungen der Schule, denen er nicht genügt. Zu Hause kann er seinem Vater stolz ein Gedicht vortragen, in der Schule stottert er jedoch, wenn er vorlesen soll. Der Junge zögert mit dem Entwicklungsschritt, der seine unmittelbare, eben natürliche Welterfahrung durch Sprache und Schrift ergänzt.

Das ist ein erstaunliches Detail, denn aus Kaplanoðlus rückwärts erzählter Film-Trilogie, die mit „Bal“ endet, weiß man, dass aus Yusuf ein Dichter wird. Es gibt in dem Film weitere Verweise auf die beiden anderen Teile, aber man kann ihn auch ohne deren Kenntnis schauen, da er in sich geschlossen ist. Der Regisseur erzählt aus der Kinderperspektive, weshalb manches in der Geschichte rätselhaft und verborgen bleibt, so wie einem kleinen Jungen eben manche Dinge unverständlich sind. Auch auf der Zeitschiene passt er sich dem gedehnten Empfinden eines Kindes an, das in eins fällt mit dem Rhythmus seiner Umgebung – die Natur hat Zeit. „Bal“ ist ein meditativer Film, der Augenblicke immer wieder langsam gerinnen lässt. Wer sich darauf einlässt, gleitet in den ruhigen Strom der Natur und kindlichen Magie mit ihren sowohl berückenden und tröstenden als auch bedrohlichen Ausprägungen.

Volker Mazassek
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