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Oh Boy

Land: Deutschland | Jahr: 2010 | ca. 83 Minuten | FSK: ab 12 Jahre

Regie: Jan-Ole Gerster, Buch: Jan-Ole Gerster, Kamera: Philipp Kirsamer, Produzent: Marcos Kantis, Jörg Himstedt, Birgit Kämper, Schnitt: Anja Siemens, Darsteller: Michael Gwisdek, Marc Hosemann, Ulrich Noethen, Rolf Peter Kahl, Tom Schilling, Katharina Schüttler, Martin Brambach, Justus von Dohnányi, Steffen Jürgens, Arnd Klawitter, Inga Birkenfeld, Friederike Kempter, Andreas Schröders, Robert Hofmann, Annika Ernst, Katharina Hauck, Leander Modersohn, Mayra Wallraff. Kinostart: 01.11.2012

Goldene Lola. Der große Gewinner bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises war "Oh Boy".
Regie-Debutant Jan Ole Gerster erhielt für sein Kinodebüt auf Anhieb den höchstdotierten deutschen Filmpreis. Auch in fünf weiteren Kategorien gewann die Lowbudget-Produktion: So hat Tom Schilling den Filmpreis als bester Hauptdarsteller für "Oh Boy" erhalten, weitere Preise gab es unter anderem für Regie, Drehbuch und die Filmmusik...Michael Gwisdek erhielt in der Kategorie „Beste darstellerische Leistung – männlich Nebenrolle“ den Deutschen Filmpreis für „Oh Boy“.

Interview: Tom Schilling

Vor zwölf Jahren haben wir Tom Schilling als pubertierenden Teenager in "Crazy" kennengelernt. Jetzt sucht er als Studienabbrecher Niko in "Oh Boy" nach seinem Weg. Und nach einem normalen Kaffee. Beides ist in Berlin schwer zu finden.

 

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Niko (Tom Schilling), Bild: X Verleih

 

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INTERVIEW: Herr Schilling, Sie sind Berliner. Entspricht das Bild, das der Film von der Stadt zeichnet, auch ihrem eigenen?

TOM SCHILLING: Ich finde die Stadt oft sehr hübsch und lebendig, aber auch einsam und kaputt. Dadurch, dass auch Jan Ole (Jan Ole Gerster, Regisseur - Anm. d. Red.) eine Hassliebe zu dieser Stadt pflegt, hat er ein relativ genaues Berlinbild geschaffen. Das ist nicht verklärt. Es ist aber auch kein typischer Berlinfilm.

INTERVIEW: Was wäre denn ein typischer Berlinfilm?

SCHILLING: "Berlin Calling" vielleicht? Er bedient zumindest das Markenzeichen, das Berlin als Partystadt hat. Aber "Oh Boy" ist nicht jung und hip. Es zeigt viele Facetten der Stadt und verschiedene Generationen. Deswegen wurde im Soundtrack elektronische Musik bewusst vermieden. Stattdessen besteht er aus Jazz-Songs. Das war eine gute Entscheidung.

INTERVIEW: Wo in Berlin wohnen Sie eigentlich?

SCHILLING: Aufgewachsen bin ich in Mitte, aber heute wohne ich in Prenzlauer Berg.

INTERVIEW: Dann kennen Sie das Problem, keinen normalen Kaffee mehr zu bekommen?

SCHILLING: Ich wohne in der vergessenen Ecke von Prenzlauer Berg. In meiner nächsten Umgebung bekommt man gar keinen Kaffee! Deswegen finde ich es da ganz schön. Aber ich brauche auch keinen Kaffee, um in den Tag zu starten.

INTERVIEW: Im Film gibt es diese schöne Szene mit Ihnen und Michael Gwisdek, in der ein junger Mann auf einen alten trifft...

SCHILLING: (unterbricht) ... und vielleicht trifft er da auch auf sich selbst! Die beiden sind sich nicht unähnlich. Ich dachte, dass er in dem alten Mann sich selbst in 40 Jahren sieht.

INTERVIEW: Hatten Sie mal eine ähnliche Begegnung?

SCHILLING: Ja, tatsächlich. Vor ein paar Jahren saßen Jan Ole und ich in einem Café. Wir kamen mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der hat erzählt und erzählt! Davon, wie es hier früher aussah und dass wir, die wir den ganzen Tag vor unseren Rechnern säßen, uns das ja gar nicht mehr vorstellen könnten.

INTERVIEW: Warum wollten Sie Niko unbedingt spielen?

SCHILLING: Ich habe mich total in das Drehbuch und in diese Rolle verliebt. Sie ähnelt literarischen Figuren, die ich mag: Holden Caulfield aus der "Der Fänger im Roggen" und Herman Hesses "Demian". Niko vermischt diese Figuren mit der Biographie von Jan Ole – der ja auch ein enger Freund von mir ist. Es lag also irgendwie nahe. Jan Ole hatte erst Bedenken, weil ich immer noch sehr jung wirke. In einem langen Brief habe ich ihn davon überzeugt, dass die Haltung und nicht das Alter für die Figur entscheidend ist.

INTERVIEW: Hat der Film dann gehalten, was Sie sich davon erhofft haben?

SCHILLING: "Oh Boy" war eines meiner tollsten Projekte. Ich bin echt stolz darauf. Da muss man fast aufpassen, dass man nicht den totalen Egoboost bekommt. Aber so ist dieser Beruf, manchmal bist du der Geilste und manchmal bist du der Arsch.

INTERVIEW: Momentan müssten Sie sich also wie der Geilste fühlen. Der Film kommt gut beim Publikum an und hat auch schon ein paar Preise gewonnen.

SCHILLING: Aber das hält nicht lange an. Nach dem Film ist wieder vor dem Film. Seit "Oh Boy" habe ich schon wieder viel gearbeitet, bald kommt mein neuer Film mit Leander Haußmann ins Kino.

 

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Julika (Friederike Kempter), Matze (Marc Hosemann) und Niko (Tom Schilling), Bild: X Verleih

 

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INTERVIEW: Sie sind wohl kein Slacker?

SCHILLING: (lacht) Ich bin eher ein Workaholic. Viele Leute ziehen ihren Selbstwert aus ihrem Beruf und ich zähle leider dazu. Der Begriff Slacker trifft übrigens auch auf Niko, den Protagonisten, nicht zu. Er tut ja nur nichts, um Geld zu verdienen. Eigentlich ist er in dieser Verweigerungshaltung total mutig und fast ein Anarchist. Sein Vater hätte ihn lieber wie sich selbst – als jemand, der die Ärmel hochkrempelt und eine Firma gründet. Im Film sieht man, was man dafür zunächst tun muss: Der Lakai genau eines solchen Typs sein. Dem verweigert sich Niko Fischer.

INTERVIEW: Hatten Sie auch filmische Referenzen im Kopf als Sie sich auf die Rolle vorbereitet haben?

SCHILLING: Vielleicht Jean-Pierre Léaud als Antoine Doinel in den Filmen von Truffaut. Besonders "Sie Küssten Und Sie Schlugen Ihn" ähnelt "Oh Boy". Man kann ihn hoffnungsvoll, charmant und subtil komisch, aber manchmal auch als sehr traurig empfinden. Diese Ambivalenz macht den Film aus. Das Leben ist eben nicht Schwarz-Weiß.

INTERVIEW: Allerdings wurde in Schwarz-Weiß gedreht.

SCHILLING: Es ist toll, dass unsere Filmförderungen und der zuständige Redakteur das zugelassen haben. Wenn es nicht so viele Leute gäbe, die bei der Filmfinanzierung mitreden und Filmemachern einreden wollen, Schwarz-Weiß sei Kassengift, würden viel mehr Filme so gedreht werden und ich finde das weder störend noch falsch, man ist ja nach ein paar Schnitten sofort drin. Ich finde Schwarz-Weiß verdichtet, bringt einen dazu, genauer hinzugucken und es erzeugt schon von sich aus eine gewisse Melancholie.

INTERVIEW: Hatten Sie selbst mal so eine Phase der Orientierungslosigkeit?

SCHILLING: Nein. Ich habe früh mit der Schauspielerei begonnen und das ging einfach immer weiter und wurde mein Beruf. Aber generell sind wir heute schon viel stärker mit Selbstverwirklichung beschäftigt und wir haben die Freiheit, über solche Dinge zu reflektieren.

INTERVIEW: Es heißt ja auch 30 sei das neue 20.

SCHILLING: Also dass wir zehn Jahre später dran sind als unsere Eltern?

INTERVIEW: Ja, aber auf Sie trifft das wohl weniger zu, da Sie früh wussten, was sie machen wollen und schon mit Mitte 20 Vater waren. Aber ich muss gerade an "Greenberg" denken...

SCHILLING: Ein guter Film.

INTERVIEW: Erst sollte er von einen Ende Zwanzigjährigen handeln, aber dann hat der Regisseur die Hauptrolle auf einen Ende Dreißigjährigen umgeschrieben, um ihre Situation noch komplizierter erscheinen zu lassen.

SCHILLING: Und wie bei "Oh Boy" passiert mit dieser Figur auch nur vordergründig wenig. Da wird zwar keine Frau erobert oder eine Bombe entschärft, aber trotzdem wird sehr Vieles verhandelt, auf einer subkutanen Ebene.

INTERVIEW: Subkutan?

SCHILLING: (lacht) Das Wort wollte ich heute unbedingt noch unterbringen. Subkutan! Gibt es das überhaupt?

INTERVIEW: Ich höre es zum ersten Mal.

SCHILLING: Ich glaube, man sagt subkutan dazu, wenn irgendetwas unter die Haut injiziert wird. Es kommt aus der Medizin. Also eigentlich wollte ich nur unterschwellig sagen. (lacht)

INTERVIEW: War der Filmtitel eine Anlehnung an irgendetwas?

SCHILLING: Ich verrate jetzt mal so viel: Als das Drehbuch geschrieben wurde, war der Titel noch "A Day In A Life". Es gibt da diesen Beatles Song, kennen Sie den? (fängt an zu singen) "I read the news today..."

INTERVIEW: „...Oh boy ?!“

SCHILLING: Genau. "A Day In A Life" passt natürlich gut zur Geschichte, aber es wäre vielleicht etwas zu konkret gewesen. "Oh Boy" passt auch sehr gut, ist aber etwas subtiler.

INTERVIEW: Was machen Sie eigentlich an einem Tag, an dem Sie nichts machen müssen?

SCHILLING: Tennis spielen. Und Klavier.

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