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2009-12-09

John Cassavetes

John Cassavetes, Schauspieler und Regisseur (Bild: AP Archiv)
John Cassavetes,
Schauspieler und Regisseur
(Bild: AP Archiv)

Film als Verlangen

Vor 80 Jahren wurde der Regisseur und Schauspieler John Cassavetes geboren

Von Katja Nicodemus

Als Schauspieler wäre John Cassavetes ein Star geworden, wenn er sich nicht geweigert hätte, einer zu sein. Mit eigenwilligen, sperrigen Filmen begründete er stattdessen in den späten 60er-Jahren das amerikanische Independentkino. Heute wäre Cassavetes 80 Jahre alt geworden.

"Just be yourself!" - der Satz, findet sich in fast allen seinen Filmen. "Sei du selbst"! - das ist auch das künstlerische Credo von John Cassavetes. All seine Filme handeln von Menschen, die den Mut haben, sich selbst zu suchen, indem sie ihren Träumen folgen, ihren Überzeugungen oder einfach ihren Impulsen. Manchmal brauchen sie dafür den Mut der Verzweiflung. So wie Gloria in dem gleichnamigen John-Cassavetes-Film: Eine Frau Ende 40, die zur Beschützerin eines sechsjährigen Jungen wird. Eigentlich mag sie keine Kinder. Und doch opfert Gloria ihre Ersparnisse, ihre Existenz und vielleicht auch ihr Leben für diesen Mini-Macho. Für diesen puerto-ricanischen Jungen, der nach der Ermordung seiner gesamten Familie von der Mafia umgebracht werden soll. Warum tut sie das? Weil sie, die Callgirl war und mit der Mafia zu tun hatte, und die sich eigentlich nur noch um sich selbst kümmern wollte, weil diese Frau einfach weiß, dass ein Mensch, der Mensch ist, keine Kinder umbringt.

"- Gloria.

- Ja.

- Wir sind an dir nicht interessiert. Was wir wollen, ist das Buch und den Jungen. Habe ich mich verständlich gemacht?

- Ja, sicher.

- Geh doch ein bisschen spazieren. Wir kümmern uns schon um den Jungen. Hast du das Buch, Kleiner? Komm mal her.

- Hey Frank, was willst du jetzt tun. Willst du ein Kind, das kaum sechs Jahre ist, abknallen? Er weiß doch überhaupt nichts. Er kann ja kaum fließend reden."


"Gloria", der Kampf einer Frau gegen die übermächtige Mafia, handelt im Grunde auch von dem Regisseur John Cassavetes und von seinem Kampf gegen Hollywood. Schon mit seinem ersten Film "Shadows" - "Schatten", revolutioniert John Cassavetes, der am 9. Dezember 1929 in New York geboren wurde und am 3. Februar 1989 in Los Angeles starb, das amerikanische Kino. Und nicht nur das amerikanische. Es ist der Einbruch eines neuen Realismus auf der Leinwand. Mit improvisierten Szenen taucht man ein in das Leben von jungen Schwarzen in der New Yorker Künstler-Boheme. Hier findet sich alles, was Cassavetes Kino ausmacht: Personen, die sich zu einer Story finden und keine Story, die von Personen dargestellt wird. Eine halb-dokumentarische Kamera, die den Schauspielern mit der Beweglichkeit eines Auges folgt. Es gibt falsche Anschlüsse, harte Schnitte, Dialoge, die in Straßenlärm und Partygeräuschen untergehen, ein Mikrofon, das im Bild hängt. "Shadows" ist ein Film, der von seinem eigenen Gemacht-Werden erzählt. Und er ist ein Statement des Regisseurs John Cassavetes, der nicht an Perfektion interessiert ist.

"Ich hoffe, ich bin nie ein professioneller Filmemacher. Ich verachte sie. Ich kann professionelle Filme auch überhaupt nicht leiden. Ich habe nie einen experimentellen Film gesehen, der mir nicht gefallen hätte. In dem Augenblick, wo er professionell wird, beutet er auch in einem gewissen Maße aus."

Mit seiner Andersartigkeit ist "Shadows" ein Faustschlag gegen das Erzählkino Hollywoods. Danach wird dieses Hollywood auf Cassavetes aufmerksam. Seine nächsten beiden Filme dreht er unter industriellen Bedingungen. Und scheitert.

Cassavetes, der als Schauspieler angefangen hatte, muss sein Geld wieder mit Schauspielerei verdienen. Er spielt den teuflischen Ehemann in "Rosemary's Baby" von Roman Polanski und den GI Victor Franko in "Das dreckige Dutzend", er spielt Gangster und Killer. Als Schurke ist er unschlagbar. Ohnehin sieht er sich lieber als Darsteller denn als Regisseur. Als ein Schauspieler, der - manchmal - eigene geschriebene Geschichten inszeniert.

"Ich bin Schauspieler, von Grund auf Schauspieler. Das war ich lange vorm Regieführen. Ich mache da nicht etwas, was ich nicht kenne. Es gibt viele unterschiedliche Arten zu spielen, und wenn ich in einer Geschichte spiele, dann ist das für gewöhnlich eine Geschichte, die dramatisch ist."

Als Schauspieler wäre John Cassavetes ein Star geworden, wenn er sich nicht geweigert hätte, einer zu sein. Stattdessen dreht er weiter Filme über "Abenteuer des Herzens", wie er selbst es nennt. Filme mit seiner Schauspielerfamilie: Ben Gazzara, Peter Falk, Seymour Cassel, seiner Ehefrau Gena Rowlands. Es sind Filme, in denen die Gebärden und der Körper eine deutlichere Sprache sprechen als die Worte. "Abenteuer des Herzens" erlebt die Ehefrau, die in "Eine Frau unter Einfluss" an Heim und Herd zerbricht und sich die Pulsadern aufschneidet. Oder der Nachtclubbesitzer, der in "Tod eines chinesischen Buchmachers" mit einer Kugel im Bauch die abendliche Show ansagt.

Es sind Filme über den Tod, über scheiternde Ehen, über Liebe als Verrat, über die Schwierigkeit, miteinander zu kommunizieren und mit sich selbst. Es ist ein Kino, der Suche nach persönlichem Ausdruck und der Suche nach persönlicher Wahrheit - auch des Filmemachers John Cassavetes.

"Künstler zu sein", schreibt er in dem Text "Bekenntnisse eines Cineasten", "ist das Verlangen, der rasende Wille nach einem absoluten, vollständigen Ausdruck unserer selbst."


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